Die Angehörige Swantje musste viel von Nachbarn und Freunden einstecken

Swantje ist 33 Jahre jung, verheiratet und frisch gebackene Mutter.

Die Langenhagenerin, die mit ihrer Familie in Reinheim lebt, ist gelernte Rettungsassistentin und arbeitet zur Zeit als Assistenzärztin in der Inneren Medizin.

Als Internistin hat Swantje häufiger mit Demenzerkrankten zu tun.

Neben der Arbeit genießt Swantje die Zeit mit ihrem Kind, trifft sich mit Freunden zu Spieleabenden oder liest und näht, um zu entspannen.

Eigentlich alles perfekt, oder? Die junge Frau hat aber noch eine andere Rolle, der sie gerecht werden muss. Neben ihrer kleinen Familie und ihrem verantwortungsvollen Beruf muss Swantje Sorge tragen für ihre Mutter Hanny, die bereits seit mehr als 15 Jahren an Demenz erkrankt ist und die damals noch sehr junge Swantje darunter leiden musste.

Warum die Demenz ihrer Mutter besonders zu Beginn schwierig für sie war, weshalb Swantje sich mehr Akzeptanz zur Unperfektheit wünscht und was sich die junge Ärztin besonders von Freunden und Nachbarn gewünscht hätte, hat sie mir in einem sehr intimen Interview verraten.

 

Auf-einWoertchen: Inwiefern hast du mit Demenz zu tun, privat oder beruflich?

Swantje: Beruflich habe ich als Internistin häufig mit Demenzerkrankten zu tun. Zudem ist meine Mutter an Demenz erkrankt.

 

Auf-ein-Woertchen: Welche ersten Anzeichen von Demenz gab es?

Swantje: Die ersten Anzeichen traten vor über 15 Jahren auf. Meine Mutter verwechselte häufig meinen Namen mit dem ihres Lebensgefährten. Sie hatte zunehmend Schwierigkeiten, sich mit ihm in Englisch zu unterhalten. Als ich 17 war, wollte sie, dass ich ihre Steuererklärung mache, da sie damit überfordert war. Von Angehörigen wurde dies als „normal“ und altersentsprechend abgetan. Im Verlauf aggravierten sich die Symptome. Sie beklagte zunehmende Schwierigkeiten auf der Arbeit (sie könne nicht mehr mithalten, ihre Kollegen wollten ihr alle etwas Böses etc.) und isolierte sich auch sozial zunehmend. Sie warf Freunden vor, dass diese sich ja nie für sie interessierten und meldete sich selbst aber auch nur selten. 2010 schlug man ihr dann die Frührente vor, die sie auch annahm. Rückblickend glaube ich, dass der Arbeitgeber keine Möglichkeit mehr hatte, sie sinnvoll einzusetzen (sie war ITlerin).

 

„Meine Mutter verweigerte über Jahre hinweg eine vernünftige ärztliche Diagnostik. Letztendlich hatte sie parallel eine doppelte Demenzdiagnostik.“

 

Auf-ein-Woertchen: Wie wurde die Demenz diagnostiziert? Wie lange hat das gedauert?

Swantje: Meine Mutter verweigerte über Jahre hinweg eine vernünftige ärztliche Diagnostik. Ich habe mehrfach mit ihrem Hausarzt gesprochen – auch weil sie wegen jedem Wehwehchen zu Ärzten rannte, aber die eigentlich notwendige Untersuchung niemals in Anspruch nahm. So kam es, dass sie in einem Jahr mehrere Darmspiegelungen bei verschiedenen Ärzten hatte, da sie immer wieder über Bauchschmerzen klagte. Letztendlich hatte sie parallel eine doppelte Demenzdiagnostik. Zum einen bei einem niedergelassenen Neurologen, zum anderen im Elisabethenstift in der geriatrischen Tagesklinik. Beide kamen zum gleichen Ergebnis. Die Diagnostik im Elisabethenstift dauerte insgesamt drei Tage. Hier erfolgte eine Rund-Um-Diagnostik mit Psychologen, Bildgebung und Laborwertbestimmung. Es wurde die Diagnose einer Alzheimer-Demenz gestellt.

 

Auf-ein-Woertchen: Was sind deine konkreten Aufgaben und wie gestaltet sich dein Tag?

Swantje: Meine Mutter hatte bis letztes Jahr Hilfe verweigert. Wir hatten zunächst versucht, über einen ambulanten Pflegedienst eine medikamentöse Therapie durchzuführen. Sie verweigerte aber zunehmend die Tabletten und sperrte den Pflegedienst aus.

Da sie jedoch noch selbstständig ihren Alltag (mit zunehmender Einschränkung) bewältigen konnte und es auch keine konkrete Handhabe bezüglich einer Unterbringung gab – bzw. diese auch noch nicht angebracht war, lebte sie weiterhin in ihrer gewohnten Umgebung zu Hause. Letztes Jahr wurde es zunehmend schwieriger. Sie wurde zunehmend unruhiger (sie merkte, dass sie Sachen vergaß und versuchte, es wieder in Ordnung zu bringen), verlor Geld, verlor ihre Brille, vergaß einzukaufen und müllte ihre Wohnung zu. Irgendwann musste ich dann die Reißleine ziehen und habe ihr die WG vorgestellt. Sie hat sich anfänglich geweigert und ich hatte schon Kontakt mit Psychiatern, dem Hausarzt und dem Gericht wegen einer möglichen Zwangsunterbringung aufgenommen.

 

Auf-ein-Woertchen: In wieweit hat sich dein eigenes Leben durch die Demenz verändert?

Swantje: Die Selbstständigkeit, die meine Mutter immer als ihr höchstes Gut geschätzt hat, wurde leider durch die Krankheit zunehmend beschnitten. Ich glaube aber, dass in der WG die größtmögliche Selbstständigkeit und Individualität im Rahmen der Erkrankung erhalten bleibt.

 

„Persönlich haben mir Nachbarn und „Freunde“ zu schaffen gemacht, die mir immer eine „Egal“-Einstellung vorgeworfen haben. Ich weiß nicht, wie oft ich mir anhören musste „Da muss man mal etwas machen“ oder „Sie gehört eingesperrt“

 

Auf-ein-Woertchen: Gibt es besonders einschneidende negative Erlebnisse mit Demenz?

Swantje: Persönlich haben mir Nachbarn und „Freunde“ zu schaffen gemacht, die mir immer eine „Egal“-Einstellung vorgeworfen haben. Ich weiß nicht, wie oft ich mir anhören musste „Da muss man mal etwas machen“ oder „Sie gehört eingesperrt“. Die meisten haben aus eigener Hilflosigkeit versucht, die Verantwortung auf mich abzudrücken und das Ganze als Vorwurf formuliert. Selten haben es diese Menschen einsehen können, dass die noch erhaltene Selbstständigkeit überwog und dass man nicht einfach jemanden wegsperren kann, nur weil er nicht mehr alles alleine schafft.

Zudem hat mir die Demenz sehr früh meine Mutter genommen und mich gezwungen, schnell erwachsen und selbstständig zu werden. Das hat sich leider auch negativ auf unsere Beziehung ausgewirkt. Ich wünschte, ich hätte noch mehr Zeit mit meiner Mutter verbringen können. Sie vergisst, dass sie Oma geworden ist und erkennt auch meinen Mann nicht.

 

Auf-ein-Woertchen: Gab es besonders positive Erlebnisse mit Demenz?

Swantje: Da ich nicht weiß, ob ich auch irgendwann an Demenz erkranke, versuche ich im Hier und Jetzt zu leben. Auch für meine Tochter versuche ich so viel wie möglich bereits in die Wege zu leiten und auch festzuhalten (Bilder,Tagebuch etc.)

 

Auf-ein-Woertchen: Hast du manchmal das Gefühl die Verantwortung nicht mehr tragen zu können oder zu wollen?

Swantje: Da ich noch sehr jung war, hat mich dieses Gefühl lange und oft begleitet. Mittlerweile habe ich es nicht mehr und auch keine Tränen mehr. Das Gefühl der Verantwortung und Aufgabe war wesentlich größer, als sie noch zu Hause gelebt hat. Durch die WG wurde einiges hiervon abgenommen und vor allem hinsichtlich der Geburt meiner Tochter versuchen die Mitarbeiter meine Mutter hieran zu erinnern, bzw. mich auch nicht mit Kleinigkeiten zu behelligen.

 

Auf-ein-Woertchen: Bist du in manchen Situationen verzweifelt?

Swantje: Ja, vor allem wenn ich zu wenig Hilfe bekommen habe. Oder wie aktuell, wo man keine vernünftigen Auskünfte über die rechtliche Situation bezüglich der Grenzen einer Vorsorgevollmacht geben kann.

 

Auf-ein-Woertchen: Hat dich die Demenz selbst verändert? Wenn ja in wiefern?

Swantje: Wie bereits geschrieben, versuche ich das hier und jetzt zu genießen.

 

„Bei fremden Menschen finde ich es prinzipiell leichter die Geduld aufzubringen als bei meiner Mutter“

 

Auf-ein-Woertchen: Wie würdest du dich selbst im Umgang mit Demenz beschreiben? gehst du gelassen damit um oder angespannt? versuchst du die Herausforderungen mit Spass zu meistern oder ist es mehr ein Kampf?

Swantje: Da ich prinzipiell ein sehr ungeduldiger Mensch bin, fällt es mir schwer, damit umzugehen. Bei fremden Menschen finde ich es prinzipiell leichter die Geduld aufzubringen als bei meiner Mutter. Ich habe ein FSJ gemacht und war hier auch in einer Demenz-WG eingesetzt und habe für mich gemerkt, dass diese Arbeit nichts für mich ist.

 

Auf-ein-Woertchen: Sind deine Auszeiten fest geregelt?

Swantje: Ich liebe meine Arbeit und genieße die Zeit mit meinen Freunden und meiner Familie.

 

Auf-ein-Woertchen: Hast du jemanden, mit dem du sprechen kannst? Feste Bezugspersonen wenn du überfordert bist?

Swantje: Mein Mann hat mich in vielen Situationen begleitet. Hierzu gehörte auch die Diagnosestellung, sowie den Umzug in die WG und das Ausräumen der Wohnung.

 

Auf-ein-Woertchen: Hast du dir Rat von Außen geholt, sind das Freunde oder hast du dir Rat von Fachpersonal gesucht?

Swantje: Ich spreche auch privat mittlerweile sehr offen über das Thema. Anfangs war es mir unangenehm, aber das hat sich mittlerweile geändert. Da ich viele Bekannte habe, die aus dem medizinischen Berufszweig kommen, habe ich mir sozusagen privat fachlichen Rat geholt.

 

„Die Art, wie sich die Demenz auf den Einzelnen auswirkt ist genauso individuell wie die Persönlichkeit an sich.“

 

Auf-ein-Woertchen: Wie verstehst du Demenz?

Swantje: Sie ist eine Krankheit, wie jede andere, die teilweise mit Persönlichkeitsveränderungen einher geht. Sie lässt einem lange Zeit (im Gegensatz zu schnell tödlichen Erkrankungen), aber geht auch mit Verantwortung einher. Die Art, wie sich die Demenz auf den Einzelnen auswirkt ist genauso individuell wie die Persönlichkeit an sich.

 

Auf-ein-Woertchen: Hast du dir Hilfe gesucht, um Demenz besser zu verstehen? Oder hast du es alleine mit dir ausgemacht?

Swantje: Ich habe es mit mir selbst ausgemacht.

 

Auf-ein-Woertchen: Vertraust du ausgebildeten Fachpersonal und Pflegeheimen?

Swantje: Natürlich vertraue ich ihnen. Man muss jedoch leider auch immer ein bisschen argwöhnisch sein, da sich hilfsbedürftige Personen nicht immer wehren können, wenn sie ausgenutzt werden.

 

„Ich würde mir wünschen, dass noch mehr mittels Beschäftigungstherapie auf die Individualität der Betroffenen eingegangen wird.“

 

Auf-ein-Woertchen: Was würdest du dir in diesen Einrichtungen wünschen, was müsste sich deiner Meinung nach ändern?

Swantje: Ich würde mir wünschen, dass noch mehr mittels Beschäftigungstherapie auf die Individualität der Betroffenen eingegangen wird. Leider ist dies teilweise auch gar nicht finanzierbar. Aber selbst Kleinigkeiten können einen Betroffenen erfreuen.

 

Es müsste mehr Verständnis für die Patienten und deren Angehörigen geben. Man sollte nicht verlangen, dass die Patienten „weggesperrt“ werden.

 

Auf-ein-Woertchen: Was müsste sich in der Gesellschaft ändern?

Swantje: Es müsste mehr Verständnis für die Patienten und deren Angehörigen geben. Man sollte nicht verlangen, dass die Patienten „weggesperrt“ werden. Das zeigt eigentlich nur die Angst der Gesellschaft und die Unsicherheit, mit der Krankheit klarzukommen. Es passt einfach nicht in die heutige „perfekte“ Welt. Aber auch Demenz ist ein Teil der Persönlichkeit und sollte daher nicht ignoriert werden. Zum Glück findet langsam ein Umdenken statt und es findet sich zunehmende Akzeptanz, sowie mehr und mehr Programme zur Beschäftigung und zur Unterstützung Betroffener (Demenz-WGs, Demenz-Nachmittage etc.).

 

Auf-ein-Woertchen: Was macht die Demenz mit dem Betroffenen und dessen Umfeld?

Swantje: Sie verändert alles, sowohl den Betroffenen, als auch dessen Angehörige. Leider kommen manche auch nicht damit klar, sodass sich der Bekanntenkreis verkleinert.

 

Auf-ein-Woertchen: Was würdest du dir wünschen für die Gesellschaft damit Demenz nicht mehr so schwer fällt?

Swantje: Akzeptanz und „Unperfektheit“.

 

Auf-ein-Woertchen: Was möchtest du an alle weiter geben, die in irgendeiner Art und Weise mit Demenz zu tun haben?

Swantje: Nicht aufgeben. Es wird immer wieder auch schöne Sachen geben. Und man sollte nichts aufschieben, sondern auch Kleinigkeiten als etwas Besonderes würdigen.

 

Auf-ein-Woertchen: Gibt es einen Motivationsspruch oder ähnliches den du dir aufsagst wenn es dir schwer fällt?

Swantje: Nein, das nicht. Aber ich bin keine Person, die leicht aufgibt, sondern ich kämpfe mich durch.

 

Auf-ein-Woertchen: Wie könnten deiner Meinung nach die verschiedenen Akteure (pflegende Angehörige, Pflegestützpunkte, Pflegepersonal, Einrichtungen, Krankenkassen) in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz besser, produktiver zusammenarbeiten, was fehlt noch bei der Zusammenarbeit? Wo siehst du die Schwachstellen, oder hast sie sogar schon selbst erlebt?

Swantje: Schwachstellen gibt es definitiv in der Beratung über die Hilfsmöglichkeiten (hier hilft in Darmstadt das Demenz-Forum sehr gut, aber in anderen Städten gibt es nicht immer vergleichbares), sowie über die gesetzlichen Rahmenbedingungen (Gesetze, Betreuung, Vorsorgevollmacht etc.) und über die Möglichkeiten der Krankenkasse (diese versucht natürlich Kostensparend zu arbeiten – daher können Angehörige nicht leicht ihre Möglichkeiten ausschöpfen).

 

„Im Internet sind die Informationen teilweise sehr konfus.“

 

Auf-ein-Woertchen: Was würdest du dir für Demenzerkrankte wünschen, was soll sich für sie ändern und wie könnten aus deiner Sicht das Internet und die Medien dazu beitragen?

Swantje: Ich würde mir mehr Akzeptanz wünschen und ein größeres Verständnis der Gesellschaft. Außerdem glaube ich, dass ein Pflegeheim eine fehlerhafte Unterbringung ist. Es ist in der Regel weniger die Pflege und mehr die Betreuung, die notwendig ist. Hier sehe ich den Gesetzgeber in der Pflicht, die Demenz-WGs weiter auszubauen (in Darmstadt gibt es 3 à 10 Patienten – definitiv nicht ausreichend). Im Internet sind die Informationen teilweise sehr konfus. Ich würde eine Website befürworten, die durch den Gesetzgeber gestellt wird mit entsprechender Verlinkung hilfreicher Homepages.

 

 

 

 

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